Exkursionen bringen geflüchteten Schülern/innen des BK-Stadtmitte ihre neue Heimat näher

23 Schüler/innen des Berufskolleg Stadtmitte der Stadt Mülheim an der Ruhr, die als Flüchtlinge aus Afghanistan, Guinea, Irak, Somalia, Syrien und Tadschikistan nach Deutschland gekommen sind, entdeckten mit ihren begleitenden Lehrkräften an drei Tagen das Ruhrgebiet. Seit einem, zum Teil knapp zwei Jahren besuchen die Jugendlichen die „Fit für mehr“-Klassen.

Ihre Sprachkenntnisse verbessern sich stetig, aber von ihrer neuen Heimat kennen sie so gut wie nichts. „Dabei ist es wichtig, dass die Geflüchteten sehen, dass das Ruhrgebiet schon immer ein melting-pot war und hier viele Menschen aus anderen Ländern einen neuen Anfang gestartet haben. Sie haben sich ihren Platz in der Gesellschaft erarbeitet und sind heute stolz auf das Erreichte. “, berichtet Stefanie Musall, Lehrerin am Berufskolleg Stadtmitte. Gemeinsam mit Dr. Imke Peters stellte sie die Projekttage zusammen. Sie hatten das große Glück, für die Exkursionen von der RAG-Stiftung eine finanzielle Unterstützung zu bekommen.

Um den Geflüchteten das Ruhrgebiet von oben (Gasometer Oberhausen), das Ruhrgebiet kreuz und quer (Exkursion zur Zeche Zollverein in Essen, nach Herten und zum RAG-Ausbildungswerk) und das Ruhrgebiet von unten (Bergbaumuseum Bochum) nahezubringen, konzipierten sie eine Tour, von der die Jugendlichen begeistert waren.

Die Schüler sind im Unterricht auf sämtliche Exkursionen vorbereitet worden. Dabei stand zunächst ein Überblick über die Exkursionsziele einschließlich der perlenkettenartig angeordneten Städte des Ruhrgebiets im Vordergund. Anschließend wurde jedes Exkursionsziel im Detail vorbereitet.

Das erste Ziel war am 19.06.2019 das Gasometer Oberhausen, wo die Jugendlichen die Entwicklung des Gasometers seit 1927 kennenlernten. Die Industrie hatte das Gebiet der heutigen Stadt Oberhausen zu Beginn des letzten Jahrhunderts und über lange Zeit fest im Griff: Fördertürme, Kokereien und Eisenhütten machten hier wie in vielen anderen Teilen des Ruhrgebiets das Bild aus. Doch deren Vernetzung funktionierte noch nicht in allen Bereichen optimal. Der Gasometer speicherte das Gas aus den Kokereien, wenn es in den Kokereien ungenutzt blieb oder der Betrieb nicht richtig lief und gab es nach Bedarf ab.

Der Gasometer war damals der größte Gasbehälter Europas und sein Betrieb rechnete sich schon nach dem ersten Jahr. Er bot vielen Menschen Arbeitsplätze. Im Jahr 2019 feiert der Gasometer gleich zwei Jubiläen: 90 Jahre Bestehen als höchster Scheibengasbehälter des Kontinents – und 25 Jahre als Europas höchste Ausstellungshalle. Durch den Strukturwandel im Ruhrgebiet wurde der Gasometer überflüssig und seine Stilllegung erfolgte 1988. Nicht nur die Menschen im Ruhrgebiet mussten sich dem Strukturwandel anpassen und neue Berufe ergreifen, auch die Gebäude erfuhren eine Umnutzung. Heute ist man froh, dass so viele „Schätze“ des Ruhrgebiets erhalten wurden und die Route der Industriekultur entstanden ist. „Die Geschichte vom Gasometer und vom Ruhrgebiet, was es hier früher gab, das hat mich gewundert über so viel Industrie, und jetzt ist da das CentrO.“, meinte Beshar aus Syrien tief beeindruckt.

Am Samstag, den 29.06.2019 wurden mit einer Busfahrt: „Bergbautour – Zu den historischen Orten des Bergbaus“ gleich mehrere Ziele angesteuert: Auf dem Programm standen eine Elektro-Zugrundfahrt über das Gelände der Zeche Zollverein, eine Doppelstockbusfahrt zur Halde Hohewart in Herten, wo die Jugendlichen einen tollen Ausblick auf das gesamte Ruhrgebiet genießen konnten und der Besuch des Ausbildungsbergwerks der RAG AG. Dies war das Highlight der Fahrt, denn bei der Besichtigung des Ausbildungsbergwerks der RAG AG, bekamen die Jugendlichen einen sehr realistischen Eindruck von der Arbeit „unter Tage“. Beshar aus Syrien sagte:“ Das ist sehr interessant. In Syrien gibt es das nicht. Wir haben nur Erdöl.“

Am Ende der Führung durch das RAG-Ausbildungsbergwerk haben die Teilnehmer gerne das Angebot angenommen, aus einer hölzernen Truhe im Bergwerk mit einer kleinen Schaufel ein paar glänzende Steinkohle-Stückchen in eine kleine Tüte zur Erinnerung mit nach Hause zu nehmen.

Am dritten Ruhrgebietserkundungstag, Donnerstag, den 04.07.2019, öffneten sich für die geflüchteten Schüler und Schülerinnen die Türen des neu eröffneten Bergbaumuseums Bochum mit einem auf dem gut einen Kilometer langen Grubenbesuch.

Dabei befanden sich die Teilnehmer anfangs in einem fiktiven Aufzug, der mittels Filme eine gut ein Kilometer tiefe Grubenfahrt – mit Zwischenstopps – simulierte. „Das war lustig und interessant im Aufzug mit den Fernsehern. Wir fahren 1000 Meter runter, es wackelt und geht schnell, aber nicht richtig.“ meinte Mohamad aus Syrien.

Unter dem Motto „Bergbau gestern und heute“ gewannen die Jugendlichen hier Einblicke in die schwere Arbeit der Bergleute früher. Ihnen wurde von dem Guide, einem jungen Studenten der Bergbau-Industrie, besonders anschaulich die über die Jahrzehnte zunehmend sichereren Maßnahmen, um Grubenunglücke zu vermeiden, vermittelt. Besonders beeindruckend waren bei dieser technischen Entwicklung die neuesten, massiven und zuletzt eingesetzten Sicherheitskonstruktionen der 90er-Jahre. Mohsen aus Afghanistan berichtet: „ So einen Kohle- Bergbau haben wir auch in Afghanistan, aber nur klein und nicht so gut.“ (Hinweis: In Afghanistan erfolgt der Kohleabbau kaum staatlich strukturiert, sondern durch private Firmen. Viele Minenarbeiter graben unkontrolliert, um Kohle zu gewinnen.)

Zum Abschluss beförderte der Guide alle Teilnehmer per Aufzug „aus der Tiefe“ des Schachts in die Höhe auf den Förderturm des Bergbaumuseums. Den Lehrerinnen war vorab gar nicht bewusst, welche „Nebeneffekte“ das Projekt hat. So hat Sara aus Syrien im Nachhinein berichtet: „Dass wir so weit oben waren … ich habe noch nie in meinem Leben eine Stadt von oben gesehen.“

Im Anschluss an den Museumsbesuch durften alle Teilnehmer eine Kult- Currywurst mit der berühmten Soße auf der Kortumstrasse im Bochumer Bermuda-Dreieck probieren. Die meisten waren sehr zurückhaltend und haben aufgrund ihres Glaubens eine Currywurst aus Hühnerfleisch probiert. Abdoullah aus Guinea war der Meinung: „ Die Soße war lecker!“

Dr. Imke Barbara Peters: „Wenn wir möchten, dass die geflüchteten Jugendlichen hier eine Heimat und Arbeit finden, müssen wir ihnen auch die Geschichte des Ruhrgebiets nahebringen. Das Ruhrgebiet war mit seiner ganz besonderen Struktur als Bergbaugebiet über viele Jahrzehnte ein Zuwanderungsgebiet mit Arbeitskräften aus allen Ländern der Erde. Dazu haben die Menschen, die hier leben, eine besondere Art: Sie mussten immer schwer arbeiten, waren dennoch solidarisch und haben sich nie unterkriegen lassen. Es ist wichtig, die Jugendlichen mit diesen Besonderheiten des Ruhrgebiets vertraut zu machen, zu ermutigen und ihnen zu zeigen, dass es sich lohnt, sich hier eine Zukunft aufzubauen.“